von Prof.em.Peter-Christian Kunkel                                                      Â
Der Bundesrat hat am 16.12.2011 den Änderungen des Bundeskinderschutzgesetzes (BKiSchG) zugestimmt.Damit kann das Gesetz nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Verkündung im Bundesgesetzblatt am 1.1.2012 in Kraft treten.
Im Folgenden finden Sie eine Darstellung des Gesetzes, eine erste Kommentierung  und alle Änderungen des SGB VIII mit einer Gegenüberstellung der alten und der neuen Fassung. Außerdem wird dargestellt, welche neue Pflichten sich für das Jugendamt ergeben
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Die Fassung des BKiSchG finden Sie hier:Â Das BKiSchG
I.      Die wesentlichen gesetzlichen Änderungen
 1.        Frühen Hilfen im Netzwerk (§ 3 Abs.1-3 KKG und § 81 SGB VIII)
Hilfeangebote für Familien vor und nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren des Kindes sollen leicht zugänglich sein. Zu diesem Zweck werden die wichtigsten Akteure im Kinderschutz (z.B. Jugendämter, Schulen, Gesundheitsämter, Krankenhäuer, Ärzte, Schwangerschaftsberatungsstellen, Polizei) in einem Netzwerk zusammengeführt.
2.        Einsatz von Familienhebammen (§ 3 Abs. 4 KKG)
Ab 2012 stellt der Bund vier Jahre lang jährlich 30 Mio.,45 Mio.,51 Mio,51 Mio.,danach in einem Fonds 51 Mio.Euro jährlich zum Ausbau des Einsatzes von Familienhebammen zur Verfügung. Familienhebammen sind Hebammen mit einer zusätzlichen Ausbildung.
3.   „Befugnisnorm“ für Berufsgeheimnisträger zur Informationsweitergabe an das Jugendamt (§ 4 KKG)
Die Regelung soll die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient schützen, aber auch die Weitergabe wichtiger Informationen an das Jugendamt ermöglichen.
Sie erweitert den Kreis der Berufsgeheimnisträger gegenüber der Regelungen im § 203 Abs. 1 StGB um die Lehrer und verdeutlicht den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB).
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                                                      StGB(geltendes Recht)Â
§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen
(1)Â Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Â Â Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2. Â Â Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
3. Â Â Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft,
4. Â Â Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
4 a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
5. Â Â staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder
6. Â Â Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
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§ 34 Rechtfertigender Notstand
1Â Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. 2Â Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
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4.        Anspruch der Kinder auf Beratung ohne Kenntnis der Eltern (§ 8 Abs. 3 SGB VIII).
     Nur in einer Not- und Konfliktsituation .
     Ausdrücklicher Rechtsanspruch.
5.        Regelung zum Hausbesuch (§ 8a Abs. 1 SGB VIII)
Das Jugendamt muss einen Hausbesuch machen, wenn dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist.
Dabei handelt es sich lediglich um eine Ausformung des Untersuchungsgrundsatzes in § 20 SGB X und des Beweismittels in § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X.
SGBÂ X (geltendes Recht)
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§ 20 Untersuchungsgrundsatz
 (1) 1 Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. 2 Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.
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§ 21 Beweismittel
(1)Â 1Â Â Â Â Â Â Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. 2Â Sie kann insbesondere
1. Â Â Â Â Auskünfte jeder Art einholen,
2. Â Â Beteiligte anhören, Zeugen und Sachverständige vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten, Sachverständigen und Zeugen einholen,
3. Â Â Â Â Urkunden und Akten beiziehen,
4. Â Â Â Â den Augenschein einnehmen.
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6.        Anspruch auf Beratung von „Kontaktpersonen“ (§ 8b SGB VIII)
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7.        Erweiterung der Familienberatung (§ 16 Abs. 3 SGB VIII)
8.        Verschärfte Anforderungen an die Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII)
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9.        Ausschluss einschlägig Vorbestrafter (§ 72a SGB VIII)
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(1)Â Â Â Beschäftigte beim öffentlichen Träger müssen Führungszeugnis vorlegen:
- alle Hauptamtlichen (Abs.1).
     – Ehrenamtliche erst nach seiner Entscheidung über „Gefahrgeneigtheit“ ihrer Tätigkeit
       (Abs.3).
(2)Â Â Â Â Beschäftigte beim freien Träger müssen Führungszeugnis vorlegen nach SicherstellungsvereinbarungÂ
 –  alle hauptberuflich Tätigen (Abs.2)
 –  ehrenamtlich Tätige nach Vereinbarung über „Gefahrgeneigtheit“ ihrer Tätigkeit
    (Abs.4).
BZentralRegG (geltendes Recht)
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§ 30 Antrag
…
(5)Â 1Â Wird das Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde beantragt, so ist es der Behörde unmittelbar zu übersenden. 2Â Die Behörde hat dem Antragsteller auf Verlangen Einsicht in das Führungszeugnis zu gewähren. 3Â Der Antragsteller kann verlangen, dass das Führungszeugnis, wenn es Eintragungen enthält, zunächst an ein von ihm benanntes Amtsgericht zur Einsichtnahme durch ihn übersandt wird. 4Â Die Meldebehörde hat den Antragsteller in den Fällen, in denen der Antrag bei ihr gestellt wird, auf diese Möglichkeit hinzuweisen. 5Â Das Amtsgericht darf die Einsicht nur dem Antragsteller persönlich gewähren. 6Â Nach Einsichtnahme ist das Führungszeugnis an die Behörde weiterzuleiten oder, falls der Antragsteller dem widerspricht, vom Amtsgericht zu vernichten
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§ 30 a Antrag auf ein erweitertes Führungszeugnis
(1)Â Einer Person wird auf Antrag ein erweitertes Führungszeugnis erteilt,
1. Â Â wenn die Erteilung in gesetzlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift vorgesehen ist oder
             2.  wenn dieses Führungszeugnis benötigt wird für
      a)
      die Prüfung der persönlichen Eignung nach § 72a des Achten Buches
    Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe –,
      b)
      eine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung,
       Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger oder
      c)
     eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe b vergleichbaren Weise geeignet ist,
    Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen.
(2) Wer einen Antrag auf Erteilung eines erweiterten Führungszeugnisses stellt, hat eine schriftliche Aufforderung vorzulegen, in der die Person, die das erweiterte Führungszeugnis vom Antragsteller verlangt, bestätigt, dass die Voraussetzungen nach Absatz 1 vorliegen. Im Übrigen gilt § 30 entsprechend.
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10.      Verbindliche Standards (§ 79a SGB VIII)
In allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe ( einschl.eines Beschwerdemanagements in Einrichtungern) wird dem öffentlichen Träger Qualitätsentwicklung vorgeschrieben.
Die Förderung des freien Trägers nach § 74 SGB VIII setzt deren Beachtung voraus.
Dies ist eine „Fortsetzung“ der Gewährleistungspflicht aus § 79 Abs. 2 SGB VIII.
Schaubild
Gewährleistungspflicht des öffentlichen Trägers
(§ 79 Abs. 2 SGB VIII)
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Â
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Â
AufgabenÂerfüllung |
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VerpflichÂtungsgrad |
Â
RechtsÂanspruch |
Â
GesamtverÂantwortung |
Â
GewährÂleistungspflicht |
Â
Leistungen
nach §§ 11-41 SGB VIII
andere AufÂgaben nach §§ 42-60 SGB VIII |
Â
Muss
          Soll
                  Kann |
Â
nur wenn subÂjektives öffentÂliches Recht in VerpflichtungsÂnorm (unabhänÂgig vom VerÂpflichtungsgrad) |
Â
für Bestand an Einrichtungen, Diensten, VerÂanstaltungen zur Erfüllung aller Aufgaben
(§ 79 Abs. 1 SGB VIII) |
Â
- für bestimmte Qualität( § 79a SGB VIII) der EinÂrichtungen, Dienste, VeranÂstaltungen
- geeignet
- erforderlich
- rechtzeitig
- ausreichend
- plural
- i. d. R. nach MaßÂgabe des JugendÂhilfeplans
- mit Bindung für den HaushaltsÂplan
- für alle Aufgaben (unabhängig von einem RechtsanÂspruch) |
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11.      Sonderzuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII bleibt erhalten
Entgegen dem Vorschlag des DIJuF wird die Sonderzuständigkeit zunächst beibehalten und evaluiert.
12.      Kontrolle des „Jugendamt-Hopping“ (§ 86c Abs. 2 SGB VIII)
Zieht eine Familie um, ist die Fallverantwortung im Rahmen eines Gespräches zu übergeben. Die Fallakten werden weitergegeben.
II.     (Neue) Pflichten des Jugendamts
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- 1.      Pflicht zu Hausbesuch (§ 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII).
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- 2.     Beratung der „Kontaktperson“ (§ 8b Abs. 1 SGB VIII).
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- 3.     Erweiterte Familienberatung (schon während der Schwangerschaft) nach § 16    Abs. 3 SGB VIII.
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- 4.     Beratung und Unterstützung der Pflegeperson ( § 37 Abs.2 SGB VIII) wie
                  bisher.
                  Leistungsinhalte in  Hilfeplan fixieren (§ 37 Abs.2a SGB VIII).
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- 5.     Pflicht zum Abschluss von Sicherstellungsvereinbarungen mit freien Trägern über Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses (§ 72a Abs. 2 und 4 SGB VIII i.V.m. §§ 30 Abs. 5 und 30a Abs. 1 BZentralregG).
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- 6.       Entwicklung, Anwendung und Evaluation von Grundsätzen und Maßstäben für die Qualität der Aufgabenerfüllung (§ 79a SGB VIII)